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Charles Burns
Grauen um die Ecke 7. bis 10. Juni 2012 Öffnungszeiten: Do 12–19, Fr/Sa 10–19, So 10–18 Uhr Altstadtmarkt
Die ersten Seiten des Comic-Romans „Black Hole“ präsentieren die Urszene für das grafische Werk von Charles Burns. Eine Seite ganz in Schwarz. In der Mitte ein länglicher Schlitz in Weiß. Lichteinfall. Der Geburtskanal? Der Leser schlägt die Seite um. Nun ist aus dem Schlitz eine vaginale Form geworden. Aber die wiederum nächste Seite entdeckt sie als anatomischen Schnitt in einen Froschleib. An den Extremitäten ist der Frosch mit Nadeln fixiert. Das erinnert an Kreuzigungsszenen. Drei Seiten weiter wird ein menschlicher Fuß gezeigt. Er weist eine Öffnung in der vaginalen Form auf, ein Stigma. Im folgenden Panel: ein Mädchenrücken, von dem die Haut in derselben Form abplatzt. Im nächsten deckt eine Hand eine weibliche Scham zu.
Hier sind die Themen des amerikanischen Künstlers angeschlagen: Geschlecht, Verletzung, Irritation, Uneindeutigkeit, Wandelbarkeit, Schmerz und eine merkwürdig verzerrte Sakralität. Schaut man auf die Protagonisten der Geschichte, kommt ein weiteres Thema hinzu: Jugend. Das alles erscheint im schärfsten Kontrast der Farben Schwarz und Weiß. Es gibt keine Grautöne. Burns legt kaum Schraffuren. Schwarz frisst sich in weiße Flächen und umgekehrt. Die Grafik von Burns erinnert an die Technik des Linolschnitts. Benutzt er Farben – für die Cover oder für seine jüngste Erzählung „X“ – so sind diese gedeckt, abgetönt, stumpf. Der grafische Duktus bleibt unter der Farbe dominant.
Es ist dieser grafische Duktus, der eine Ausstellung von Burns‘ Werken tatsächlich zu einer Kunstausstellung macht. Hinzu kommt die Erstarrung der Bildformate. Burns’ Zeichnungen wirken wie Stillshots. Speedlines findet man selten. Jedes Panel hat einen Moment eingefangen und eingefroren. Ein aufgerissener Mund ist im Schrei fixiert, ein Tränenfluss tritt wie aus Marmor aus einem Gesicht. Das Leben erscheint wie herausgestanzt aus der Zeit. Burns‘ Comics ziehen das Auge nicht in eine permanente Lesebewegung. Wie das Malteserkreuz den Film im Projektor, so stoppen sie es vor jedem Bild. Burns‘ Porträts und Einzelblätter – darunter Platten-Cover für Iggy Pop, Titelbilder für „TIME“, „Rolling Stone“, „Esquire“ und andere Magazine – haben mit ihren Erinnerungen an Vorbilder wie Hieronymus Bosch, Keith Haring oder exotische Masken per se Kunstcharakter, sind aber genauso von amerikanischen Horror- und Underground-Comics beeinflusst. Das neue Projekt „X“ spielt mit den Vorgaben der Ligne Claire und versetzt Tims Abenteuer an das verkommene Ufer einer grotesken Anderswelt.
Charles Burns ist 1955 in Washington D.C. geboren. Lebensstationen waren Seattle, Philadelphia, auch gab es einen Aufenthalt in Italien, wo er zeitweise der Gruppe Valvoline um Comic-Zeichner wie Lorenzo Mattotti oder Igort angehörte. In Art Spiegelmans exzeptioneller Comic-Zeitschrift „RAW“ hat er ein Sprungbrett gefunden, mit der Serie „El Borbah“ für das Magazin „Heavy Metal“ ist er bekannt geworden. Schon in dieser Kriminalgeschichte um einen Detektiv im Wrestling-Kostüm entfaltete sich die abgründige Weltsicht von Burns. In einer Umgebung, die meistens an amerikanisches Kleinstadt-Milieu erinnert, tummeln sich Abnormitäten, die fast normal erscheinen, tritt das Makabre ebenso auf wie das Grausame und wirkt in dieser Gesellschaft nahezu selbstverständlich. Charles Burns beschreibt die Nachtseiten hinter den idyllischen US-Fassaden. Insofern hat sein Werk etwas mit den Arbeiten von Stephen King und David Lynch zu tun. Er hält seinem Publikum den Zerrspiegel vor, der es zur Kenntlichkeit entstellt. Das Grauen wohnt um die Ecke.
Herbert Heinzelmann
Künstlergespräch: Freitag, 8. Juni, 15 Uhr – Rathaus, Großer Ratssaal, 1. Stock
Lars von Törne im Gespräch mit Charles Burns
Empfang in der Ausstellung: Samstag, 9. Juni, 17 Uhr – Altstadtmarkt
Lars von Törne im Gespräch mit Charles Burns
Eintritt frei!
Eine Ausstellung von Beeld Beeld und Museum M, Leuwen in Kooperation mit dem Internationalen Comic-Salon Erlangen.
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