François Bourgeon – Aus Meisterhand
Pionier des Abenteuers

Städtische Galerie Erlangen
6. Juni – 4. Juli 2004
Öffnungszeiten 10.–13. Juni: Do 10-19, Fr 10-21, Sa 10-19, So 10-18 Uhr
sonstige Öffnungszeiten: Di-Fr 10-18, Sa/So 10-17 Uhr

Das Erzählen von Geschichten, die für sich einen absoluten Wahrheitsgehalt in Anspruch nahmen, war ein kaum zu erschütterndes Machtmittel. Es waren die Geschichten der Bibel, vor allem die des neuen Testaments, die im Mittelalter solche Macht ausübten. Geschichten von Mund zu Ohr, Geschichten am Feuer, Geschichten aus Predigten. Denn das Ritual in den Kirchen war in unverständlichem Latein. Lesen war keine Volksfähigkeit. Es brauchte Bilder, um die Geschichten in den Gotteshäusern präsent zu machen. Die Bilder der Altäre. Und dann mehr und mehr die Glasbilder der Fenster. Auf den Fenstern wurde eine Geschichte oft in mehreren Episoden entfaltet. So sind die Glasmalereien der Kirchenfenster, genau wie die zur gleichen Zeit aufkommenden Bilderbibeln an den Kirchenwänden ohne Zweifel direkte Vorläufer der aktuellen Erzählung im Comic Strip.
François Bourgeon wurde1945 in Paris geboren und ist als Glasmaler ausgebildet. Als Glasmaler ist man daran gewöhnt, eine Gesamtfläche zunächst in Sub-Flächen zu zerlegen, Rahmen zu schaffen, Vignetten. Dorthinein werden dann die farbigen Glasscherben integriert. Ganz ähnlich arbeitet der Comic-Zeichner, wenn er die Dramaturgie einer Seite und damit ihre Aufteilung in Panels festlegt. Als Bourgeon Ende der 70er Jahre aufgrund schlechter Auftragslage von der Glasmalerei zur Comic-Kunst wechselte, war die Seitenaufteilung im Medium weitgehend noch klassisch und konventionell. Bildfelder verliefen in Reih und Glied und wurden nacheinander mit den Augen abgetastet. Die Seite war noch nicht in grafische Freiheit entgrenzt. Bourgeon war einer der ersten, der sich Freiheiten nahm. Er wechselt die Panelgröße nach erzählerischem Impetus, klinkt kleine Bilder in Cinemascope-Panoramen ein, erlaubt sich manchmal eine Hommage an den Aufbau eines Fensterbildes, z.B. durch eine kleine runde Vignette in der Seitenmitte.
So wird er maßgeblich für die Erneuerung der Erzähltechnik im Comic. Und ebenso maßgeblich wird er für die Entwicklung des epischen Comic-Romans. Als Bourgeon als sein eigener Autor den Umfang des Zyklus „Reisende im Wind“ auf fünf Alben festlegte, waren die meisten laufenden Comic-Serien entweder auf Endlos-Fortsetzungen ausgerichtet oder sie arbeiteten mit abgeschlossenen Episoden. Bourgeon gab den Abenteuern der jungen Adeligen Isa am Ende des 18. Jahrhunderts genau den Atem, den die Entwicklung der Geschichte brauchte. Außerdem wählte er bereits für diesen Zyklus eine realistisch entworfene Frauenfigur zur Protagonistin, eine Frauenfigur mit verschattetem Charakter und selbstverständlicher, nicht spekulativer Sexualität – damals noch keineswegs üblich im Comic Strip. Die Vorliebe für weibliche Helden hat er in den folgenden Werken „Die Gefährten der Dämmerung“ und „Cyann – Tochter der Sterne“ beibehalten.
Ein Vorreiter der Couleur Directe ist François Bourgeon nicht. Er zeichnet detailliert, oft auf der Basis historischer Studien, Landschaften, Fahrzeuge, Bauwerke mit einer präzis berechneten Perspektive und häufig aus ungewohntem Blickwinkel. Dann erst wird koloriert. Dabei legt Bourgeon, bis hin zu „Cyann“ mit ihren satten Farben, Wert auf Effekte von Lichtschimmer vor allem auf den Gesichtern, auf einen – vielleicht wieder von der Glasmalerei herrührenden – Eindruck von Durchsichtigkeit. Um ihn zu erzielen, bedient er sich gern der Gouache-Technik, in der man Aquarellfarben mit Deckweiß mischt. Das Resultat ist ein pastoser Schein, bei Bourgeon vornehmlich auf den Körpern. Diese Körper sind nach anatomisch genauen Vorgaben gestaltet, sind allerdings nie geschönt. Auch eine aufregende weibliche Figur weicht so weit vom Maß der Vollkommenheit ab, dass Realismus gewahrt bleibt.
Blickt man zurück in die deutsche Comic-Geschichte, muss man François Bourgeon eine immense Bedeutung zuschreiben. Mit „Reisende im Wind“ begann der Carlsen Verlag, zuerst unter der Bezeichnung „Special Comics“, später unter dem Logo „ComicArt“ sein Programm auf Alben für Erwachsene auszuweiten. Das in Form und Inhalt überzeugende, ja für damalige Verhältnisse überwältigende Abenteuer aus Bourgeons Feder, legte einen Grundstein für die Akzeptanz der Comic-Kultur in Deutschland. Herbert Heinzelmann

Eine Ausstellung der Städtischen Galerie Erlangen in Zusammenarbeit mit dem 11. Internationalen Comic-Salon Erlangen und dem Festival de Bande Dessinée, bd Boum, Blois/Frankreich.

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